1 September — 23 September 2018

Artstudio Hamburg

China Time

Kurator:in

Ahrend-Liu plus Liu

Ort

ARTSTUDIO Hamburg

Zeitgenössische Kunst aus Deutschland und China
Gefördert durch die Behörde für Kultur und Medie

Einführung: Professor i.R.Dr. Jan Berg (Film- und Medienwissenschaft Uni Hildesheim) und Irina Ahrend

Zwei mal zwei = vier Künstler aus Hamburg und China.

Kunsthistorische Einführung Irina Ahrend-LiuDierck Lembcke, Gerd Roscher und Gäste
Einführung Jan BergFilmkunst Gerd Roscher

Artists

Christian Hahn

Christian Hahn sprach in einem Interview von „Sinn und Sinnlichkeit“ seiner Malerei. Es gibt sinnhafte Attribute in seinen Bildern wie Bücher, die zum Lesen aufgeschlagen sind, eines trägt den verständlichen Titel: „Erkenntnisprozess“; andere Titel wie „Transfer, K und K, Pronomen oder Linguistik sind schwerer zuzuordnen. Die akribische Ausarbeitung vieler Details, wie die von Pflanzen oder von Kleidung aus längst vergangenen Jahrhunderten, erzählt vom Respekt vor den alten Meistern, der aber erst gebrochen und dann malerisch wieder verbunden wird mit der Computer-Ästhetik unserer Tage. Mit dieser Technik schafft Hahn es, wie in einem Traum, verschiedene Zeiten und Räume zu einem Bild zu verschmelzen. Die Kategorien Gegenständlich und Abstrakt werden dabei gleichzeitig beachtet und missachtet, sie werden gegeneinander ausgelotet und schlussendlich transformiert in die ureigene Hahnsche Bilderwelt. Text von Irina Ahrend

Shuqing Ma

Seine hauptsächlich ruhigen Bilder sind Räume, gekennzeichnet von radikaler Abwesenheit. Keine Figuren, keine lebendigen Formen, sondern geometrisch vereinfachte Räumlichkeiten mit teils minimal versetzter Perspektive. Noch dazu monochrom gemalt, einfarbig also. Mit den heutigen Computer-Programmen kann man mit einem Klick Räume dieser Art erstellen und könnte das auch in allen Farben des Regenbogens. Schließlich kann der Computer 256 Millionen Farben darstellen.  Trotzdem gewinnt das gemalte Bild. Warum? Weil Malerei auch im abstrakten Fall eine haptische Qualität haben kann und weil sie in der Lage ist, geistige Prozesse zu transportieren. Schwarz und weiß gehören nicht zu den echten Farben, man bezeichnet sie als unbunte Farben. Schwarz absorbiert das ganze Licht, saugt es also auf. Weiß reflektiert das ganze Licht, die Summe aller Farben ergibt also weiß, bedeutet auch, dass man weiß nicht durch Mischen von Farben erzeugt werden kann. Bei rein grauen Bilder hat der Künstler halb schwarz und halb weiß benutzt, befindet sich beim Malen also recht genau in der Mitte zwischen schwarz und weiß, in der Mitte zwischen Absorption und Reflektion. Welch ein  interessanter Ort: genau zwischen der Möglichkeit aufzunehmen und abzugeben. Vielleicht ein Zustand, in dem wir uns alle täglich befinden? Die Notwendigkeit zur Entscheidung zwischen geben und nehmen ist ja nicht etwas, dass uns jemand abnimmt… Shuquing Ma hat sich dafür entschieden, mit der unbunten Zwischenfarbe grau „einfache“ Räume zu kreieren, in die wir sehr lange hinein blicken können. Es ist so, als schauten wir auf den Boden des Raumes und eventuell auch auf den Grund der Dinge. Denn im besten Fall ist es genau das, was Kunst leisten kann, nämlich einen Moment der echten Reflektion zu ermöglichen. Text von Irina Ahrend

Gerd Roscher

„Ich bin ein linker Filmemacher. In einer Zeit, in der Hetze gegen Menschen mit anderer Hautfarbe auf deutschen Straßen passiert, ist es wichtig, sich an die deutsche Geschichte mit ihren großen Katastrophen zu erinnern. Die drei gezeigten Filme tun dies direkt: “Sonst ist auch das Ende verdorben“ ist eine filmische Collage aus Originalaufnahmen der englischen Soldaten 1945 in Hamburg, einigen KZ-Aufnahmen sowie Szenen einer Begrüßungsfeier für einen Rückkehrer aus dem KZ. In „Jenseits der Grenze“ folge ich filmisch den Spuren Walter Benjamins, der sich auf dem Fluchtweg aus Frankreich über die Pyrenäen mit dem Ziel New York an der spanischen Grenze das Leben genommen hat, weil er nicht einreisen durfte. An vielen Stellen seines Werkes hat Benjamin über die Stunde der Gefahr reflektiert, an der das Leben bruchstückhaft an einem vorüberzieht. Erinnerungsbilder brechen in das äußere Geschehen des Films ein: aus dem Berlin seiner Kindheit, aus Moskau und aus dem Paris des Exils. In „Kurze Schatten“ rekonstruiere ich die Reise des jungen Afrika-Forschers Albrecht Roschers 1860 in die Nähe der Nilquellen, über die er kurz vorher seine Doktorarbeit geschrieben hatte. Vom Forscherdrang getrieben, vom Tropenfieber geschwächt, mussten ihm die Menschen, denen er begegnete, im Verborgenen bleiben. Vor allem die geheimen Kulte, mit denen sich die Eingeborenen seit Jahrhunderten gegen Eindringlinge gewehrt hatten und die noch heute wirksam sind. Keine zwei Generationen später werden in dieser Region Tausende, die sich durch das Zauberwasser für unverwundbar hielten, von den Kolonialtruppen nieder gemäht.“
Gerd Roscher im Interview mit Jan Berg

Xiaomin Liu

„Ich bin ein sehr visueller Typ. Mich interessiert die Sprache eines Bildes und warum es heute als Bild wirksam ist. Seit über 25 Jahren lebe ich in zwei Kulturen und das hat natürlich meine grundsätzliche Perspektive verändert. Ich blicke oft wie durch eine doppelte Linse. In den neuen Fotos hat mich die Möglichkeit von Spiegelungen und Reflektionen im städtischen Raum angezogen. Entstanden sind surreale Räume, die in verschiedenen europäischen Städten aufgenommen sind. Bewegung und Dynamik sind dabei eng verwoben mit stillen Momenten. Die Spannung eines Bildes sollte die komplexe Lebenswirklichkeit widerspiegeln, so finde ich. Trotzdem bin ich mir des Stellenwerts von Stille, der in Asien viel höher ist als in Europa, sehr bewusst. Deshalb gibt es Transparenzen in vielen meiner Fotos. Diese halten sie in einer Art Schwebezustand.“ Texte und Interviews von Irina Ahrend